Haben wir einen freien Willen ?

Februar 23, 2024

Definition
Der Wille ist die Kraft, mit der wir Menschen unserem Leben eine Richtung geben. Unser Wille nutzt bewusste und unbewusste Erfahrungen, um das Ich dazu zu bringen, Entscheidungen zu treffen.

Die Freiheit, diese Entscheidungen treffen zu können, bezeichnen wir als freien Willen. Unser Wille ist frei von Unterdrückung, nicht frei von Voraussetzungen.Die weit verbreitete Idee, uns Menschen diesen freien Willen abzusprechen, hängt vor allem mit fragwürdigen Definitionen des freien Willens und des Bewusstseins zusammen.

Die zwei häufigsten Argumente gegen den freien Willen lauten:

1. Wir haben keinen freien Willen, weil die Welt deterministisch ist.

2. Wir haben keinen freien Willen weil unbewusste neuronale Prozesse im Gehirn uns vorgeben, wie wir zu entscheiden haben.

Argumente

Sehen wir uns diese beiden Argumente mal etwas genauer an: Wir hätten keinen freien Willen, weil die Welt deterministisch organisiert ist, meint: Unsere Welt ist durchgehend durch Ursache-Wirkungs-Ketten festgelegt. Ein äußeres Einwirken auf diese Prozesse ist prinzipiell nicht möglich. Dieses Ursache-Wirkungs-Prinzip wird Determinismus genannt.Weil unsere Natur deterministisch organisiert ist, kann es nach dieser Vorstellung unmöglich einen freien Willen geben.

Diese Argumentation widerlegt jedoch lediglich die Idee eines Willens, der ohne Ursache-Wirkungs-Prinzipien zustande kommt.
Ein voraussetzungsfreier, indeterministischer Wille.

So einen Willen kann es aber schlichtweg gar nicht geben. Denn es gehört ja gerade zur Eigenschaft des Willen, dass er Wünsche, Träume und Erfahrungen – also Determinismus – voraussetzt.

Den Willen als frei zu bezeichnen, wenn er frei ist von Voraussetzungen, ist eine Definition des freien Willens, die weder in der Wissenschaft, noch in der Philosophie, noch im Alltag irgendeinen Sinn ergibt.

Es ist diese unsinnige Definition, die offensichtlich immer wieder zu Verwirrungen in der Diskussion um den freien Willen führt.

Die Tatsache, dass wir unseren Willen jederzeit äußern können und entsprechende Entscheidungen treffen, zeigt, dass Determinismus den freien Willen nicht verhindert, sondern dass er gerade eine wichtige Voraussetzung ist, um den Willen formulieren zu können.

## 3

Der Gedanke, alle unsere Entscheidungen könnten deterministisch bereits festgelegt sein und unser Leben würde einfach nur ausgespielt wie ein Film, hat in der Philosophie einen Namen: Der “Laplacesche Dämon”.

Pierre Simone Laplace, ein französischer Astronom und Mathematiker, beschrieb im 19. Jahrhundert in seinem Werk “Exposition du système du monde” genau diese Fiktion.

Laplace beschrieb darin einen „Weltgeist“, der die Gegenwart mit allen Details kennt und daher die Vergangenheit und Zukunft des Weltgeschehens in allen Einzelheiten beschreiben kann, weil alle Ereignisse unserer Welt durch Ursache-Wirkungsmechanismen verknüpft sind.

Tatsächlich ist es aber so, dass wir rückblickend zwar jeder Wirkung eine Ursache zuordnen können. Umgekehrt gibt es diese Möglichkeit allerdings nicht.

Es gibt keine Maschine und keinen Gott, der die endlose Komplexität unserer Welt und die ihr entspringenden Wirkungen und Entscheidungen vorhersagen, planen oder gar festlegen könnte.

Auch innerhalb des Determinismus gibt es chaotische Systeme, deren Verhalten nicht reproduzierbar ist.

Kipppunkte müssen durchlaufen werden, Entscheidungen müssen getroffen werden. Erst dann zeigt sich, wie die Welt sich entwickelt.

Es sind natürliche Prozesse und menschliche Entscheidungen, die den Gang unserer Welt bestimmen.

Der Mensch ist ein planendes Wesen. Seine Fähigkeit, Entscheidungen treffen zu können und danach zu handeln, unterscheidet ihn von allen anderen Lebewesen.

Die Erforschung des menschlichen Gehirns steckt noch in den Kinderschuhen. Trotzdem gibt es durchaus überzeugende Hinweise darauf, dass die Entscheidungsprozesse, die in unserem Gehirn ablaufen, von uns Menschen selbst gesteuert werden.

Der US-Amerikanische Philosoph und Kognitionswissenschaftler Daniel Dennett schreibt unserem Gehirn entsprechende Kontrollfunktionen zu.

Denken und Entscheiden scheinen emergente Eigenschaften des Gehirns zu sein, die aus den vielen Millionen neuronalen Prozessen im Gehirn hervorgebracht werden.

Kevin Mitchell, Neurowissenschaftler aus Dublin, argumentiert ähnlich und liefert in seinem Buch “Free Agents” evolutionäre Belege dafür, dass wir Menschen absichtsvoll Handeln.

Determinismus als Argument gegen den freien Willen anzuführen führt ins Leere. Unser Wille ist frei von Unterdrückung und stützt sich auf deterministische Ursache-Wirkungsmechanismen.

## 4

Nun zum zweiten Argument das häufig gegen den freien Willen vorgebracht wird:

Erst 30 Millisekunden nach einem neuronalen Impuls im Gehirn nimmt unser Bewusstsein eine zugehörige Entscheidung wahr. Diese Entscheidung wurde also nicht von unserem Bewusstsein getroffen sondern von unbewussten Prozessen im Gehirn.

Diese Beobachtung würde angeblich bedeuten, wir Menschen hätten keinen freien Willen. So stellen es zumindest einige Neurowissenschaftler dar, die sich mit dem sogenannten Libet-Experiment befassen.

Ihre Interpretation des Libet-Experiments ist jedoch problematisch.

Es gibt keinen nachvollziehbaren Grund, das menschliche Ich auf unser Bewusstsein zu reduzieren.

– Zudem lässt sich das Bewusstsein als emergente Eigenschaft neuronaler Prozesse schwer eingrenzen.

## 5

Wenn wir das Gehirn auch als Bestandteil unseres Ichs betrachten, dann gibt es eine ziemlich einfache Erklärung für den Ablauf des Libet-Experiments.

Der Forscher fordert seinen Probanden auf, spontan, wann immer ihm danach ist, den Finger zu heben und die Zeit zu markieren zu der er den Impuls verspürt, diesen Finger zu heben. In einer bestimmten Gehirn-Region des Probanden wird dann irgendwann das Bereitschaftspotenzial sichtbar. 30 Millisekunden später wird sich der Proband bewusst darüber, dass er den Finger heben will und schließlich hebt er den Finger. Genauer kann man freien Willen eigentlich kaum beschreiben.

Es ist lediglich die fatale Definition einiger Neurowissenschaftler, die das Ich auf rein bewusste Vorgänge reduzieren. Diese Begrenzung widerspricht aber unserer Alltagserfahrung, in der schon immer das Unbewusste eine besondere Rolle spielt.

Bei vielen Entscheidungen wägen wir nicht nur das Für und Wider ab, sondern wir befragen auch unser Bauchgefühl. Denn wir wissen aus Erfahrung, dass auch das Unbewusste zu unserem Selbst gehört.

Ähnlich sieht es der Neurowissenschaftler Peter Tse, der in seinem Buch “The neural Basis of Free Will” schreibt: “In general, most processes that can be dealt with automatically seem to be placed on the unconcious side of the conscious-unconscious-devide.” (Tse, 2013 Seite 175)

Also Prozesse im Gehirn, die automatisiert ablaufen, werden im unbewussten Teil des Gehirns verarbeitet, um die Bewusstseinsvorgänge nicht mit unnötigem Beiwerk zu belasten.

Unser Fühlen, Erleben und Denken sind Bestandteile unseres Ichs genauso wie das Gehirn. Das Gehirn macht die für uns relevanten Vorgänge im Bewusstsein erfahrbar.

Der freie Wille als Teil dieser Wirkungsketten, macht uns Handlungsfähig.

Das Libet-Experimet eignet sich also nicht dazu, dem Menschen den freien Willen abzusprechen.

## 6

Zusammenfassend lässt sich sagen:

Ja, wir haben einen freien Willen. Er gibt uns die Möglichkeit, planerisch zu Handeln und Entscheidungen zu treffen.

Der freie Wille ist die Grundlage für unser Gemeinschaftswesen.
Der freie Wille hat die atomare Abrüstung möglich gemacht und die Reduzierung des Ozonlochs.

Der freie Wille ist aber auch eine Herausforderung, weil es auch immer möglich ist, sich für das Böse zu entscheiden.

Der freie Wille macht es möglich Verantwortung zu übernehmen und für das eigene Handeln verantwortlich gemacht zu werden.

Ohne den freien Willen, hätten wir keine Demokratie.

Auch wenn es noch viel Forschungsbedarf gibt, kann man heute schon sagen:

Die Definitionen von freiem Willen und dem Ich, die Inkompatibilisten nach wie vor benutzen, ergeben weder in der Wissenschaft noch im Alltag einen Sinn.

Der Laplaßsche Dämon bleibt eine Fiktion, deren Realisierbarkeit Laplace schon damals selbst in Frage gestellt hat.

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